Gleitlager sind eine der wichtigsten Maschinenkomponenten
16.07.2019 | Redakteur Dipl.-Ing. (FH) Sandra Häuslein
konstruktionspraxis hat mit Bernd Fischer, Group CEO von Technymon, über die Gleitlagertechnik gesprochen. Was erwarten Kunden von der kleinen mechanischen Antriebskomponente? Welche Lagermaterialien rücken künftig in den Fokus?
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konstruktionspraxis: Welche Vorteile bieten Gleitlager gegenüber den Wälzlagern?
Bernd Fischer: Gleitlager arbeiten geräuscharm und sind stoßunempfindlich. Zudem zeichnen sich Gleitlager über ein geringes Bauvolumen und durch eine hohe Tragfähigkeit aus. Ebenso möchte ich noch eine leichte Montage erwähnen und auch eine große Wirtschaftlichkeit.
konstruktionspraxis: In welchen Anwendungen spielen Gleitlager diese Vorteile aus?
Bernd Fischer: Hier müssen wir zwischen „trockenen“ Anwendungen und „geschmierten“ Anwendungen unterscheiden. Insbesondere im wartungsfreien Trockenlauf-Einsatz kommen die Vorteile von modernen Metall-Polymer-Lagern zum Vorschein. So ist es überall dort, wo rotierende, oszillierende oder lineare Lagergeschwindigkeiten vorherrschen. Dies können zum Beispiel im Automotive-Bereich jegliche Scharniere sein, auch Sitzverstellungen oder Riemenspanner. Im Industriebereich zum Beispiel Ventile im Maschinenbau oder der Öl- u. Gasindustrie.
Des Weiteren eignen sich Gleitlagerungen für hydrodynamische Zahnradpumpen und Axialkolbenpumpen. Nicht zu vergessen, die fast unzähligen Anwendungen in der Baumaschinen- und Agrartechnikindustrie, wo sämtliche Gelenke bis hin zu Getrieben auf Gleitlagertechnik angewiesen sind.
konstruktionspraxis: Welche Auswirkungen haben die Digitalisierung und Industrie 4.0 auf die kleinen, mechanischen Antriebselemente?
Bernd Fischer: Mit Digitalisierung und Industrie 4.0 bietet sich die Möglichkeit Antriebselemente mit Sensorik auszustatten und dementsprechend intelligenter zu machen. Die Mechanik wird sozusagen nun zur Datenquelle.
konstruktionspraxis: Können Sie z.B. dazu beitragen, Lagerausfälle in Zukunft zu vermeiden?
Bernd Fischer: Man kann damit nicht nur mögliche Lagerausfälle vermeiden, sondern auch den Betriebszustand von Komponenten oder gar kompletten Maschinen definieren.
konstruktionspraxis: Welche Ursachen können denn überhaupt zu einem Ausfall der Lager führen?
Bernd Fischer: Ein Lagerausfall kann viele Ursachen haben und man kann das nicht generalisieren. Außer konstruktionsbedingter Ursachen wie Unterdimensionierung, Mangelschmierung, zu hohe Drehzahl und deshalb zu hohe Temperaturen, möchte ich allerdings auf die „Umgebungsfaktoren“ hinweisen, welche zu Lagerausfällen führen können. Dies kann zum Beispiel bei trocken laufenden Gleitlagern Korrosion sein oder noch extremer sind Partikel-Einlagerungen durch Verunreinigung, welche die Laufschicht innerhalb kurzer Zeit zerstören können. Defekte Dichtungen sind dabei oft die Ursache. Ein sogenannte edge-loading (Seitenbelastung) herbeigeführt durch Verspannungen in der Anwendungskomponente zerstört trockenlaufende Gleitlagerbuchsen ebenfalls. Bei hydraulischen Anwendungen gibt es den Effekt der sogenannten „flow errosion“; das heißt der Ölstrom wäscht kleine Partikel von der Laufschicht aus, sodass nach einer gewissen Betriebsdauer die Lagerschicht reduziert bzw. eliminiert wird. Hierfür hat Technymon allerdings neue Lagermaterialien entwickelt, welche diese Defekte vermeiden.
Lagertechnik
Gleitlager – Grundlagen, Eigenschaften und Anwendungen
konstruktionspraxis: Was für Lagermaterialien sind das genau?
Bernd Fischer: Im Metall-Polymer-Bereich haben wir zwei neue Materialien entwickelt: zum einen das Technymon-MU4-Lager, welches sich insbesondere für Anwendungen in Hydraulikpumpen eignen und der schon erwähnten „flow erosion“ entgegen wirkt. Zum anderen das Technymon-MU8-Lager, welches wie MU4 aufgebaut ist und zusätzlich noch die Reibung reduziert. MU8 kann auch in Trockenlaufanwendungen eingesetzt werden. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass komplett neue Lagermaterialien eher selten entwickelt werden. Dazu haben sich die bisherigen Konzepte zu sehr bewährt. Vielmehr werden heute sogenannte Inkremental-Entwicklungen vorangetrieben, also Materialkompositionen, die aufeinander aufbauen, um noch spezieller auf Kundenansprüche eingehen zu können, denn das Lager ist einer der wichtigsten Maschinenkomponenten überhaupt. BUCHTIPPDas Buch „Praxishandbuch Antriebsauslegung“ hilft bei der Auswahl der wesentlichen Bestandteile elektrischer Antriebssysteme: Motor, Getriebe, Stellgerät, Netzversorgung sowie deren Zusatzkomponenten. Auch auf die Berechnung wird intensiv eingegangen.
konstruktionspraxis: Mit welchen Ansprüchen kommen Kunden denn heutzutage auf Sie zu?
Bernd Fischer: Neben unseren Standardlagern entwickeln wir viele Lager gemeinsam mit unseren Kunden in individueller Ausführung, beispielsweise mit eingeschränkter Lager-Toleranz, um den Wirkungsgrad von Komponenten zu erhöhen. Diese Individualität ist heutzutage sehr wichtig – damit einher geht auch eine professionelle und intensive Kundenbetreuung durch unsere Anwendungsingenieure. Kosten spielen natürlich auch immer eine Rolle. Das optimale Lager verbindet kleinste Abmessungen mit geringstem Gewicht, niedrigster Korrosion und geringsten Kosten. Diese Kombination kann man nur mit maßgeschneiderten Gleitlagern erzielen, da ein sogenanntes „one fits all“-Lager, wie es früher oft Verwendung fand, all diese Bedingungen zusammen nicht mehr erfüllen kann.
Vielen Dank Herr Fischer.